Perdita von Kraft

Von Eisleben nach Dar es Salaam und zurück nach Dessau-Wörlitz


Mit der Ausstellung des Anhaltischen Kunstvereins Dessau „Klaus Hartmann. Der Vogel und das große Rad“ kehrt der 1969 in Eisleben geborene Maler Hartmann in heimatliche Gefilde zurück.

Mit einer Reihe von ausgestellten Bildern nimmt er Bezug auf frühere Jahre. So mag es dem Publikum gelingen, einen Überblick über siebzehn Jahre künstlerischen Schaffens zu gewinnen, wenngleich im Vordergrund die Neugier auf das aktuelle Bildgeschehen stehen wird.

Beginnen wir auch dort: Die jüngsten bildlichen Fassungen „Square Drama“ (2012) und „Schuhe #2“ (2013) sind, so die Aussage des Künstlers, inspiriert durch Reisen auf den ostafrikanischen Kontinent. Allerdings sind sie – erwartungsgemäß - jedoch keine exotischen Motive von Großwildshootings in freier Bahn oder buntem Treiben auf einheimischen Märkten. Vielmehr strapazieren sie als starkfarbige Impressionen abstrakt malerische Werte, wie Reihung, Perspektive, Aufsicht.

Und doch ist das Bild mit dem Thema des Schauspiels auf unbenanntem Platz und aus der Vogelperspektive dargestellt gewissen Reizen erlegen. Den Reiz bestimmen die im Bild festgehaltenen Bewegungen über die Fläche. Frauen in schwarzen, roten, leicht gemusterten Gewändern flirren durch den Bildraum, quasi schwerelos in der Schwebe gehalten durch ihre ebenfalls in der Farbe stark reduzierten Sonnenschirme. Am linken Bildrand sind sie sogar vornehmlich in Weiß gehalten, was dem Phänomen des Laufens nochmals den Boden entzieht. Es entsteht mehr ein tänzerisch-treibender Eindruck, das Drama entwickelt sich pendelnd-fliegend.

An dieser Fassung ist unschwer zu erkennen, dass das Medium der künstlerischen Fotografie die junge Malergeneration und somit auch Hartmann ganz neue Perspektiven und Motive und vor allem auch die Bildwürdigkeit des Augenblicks gelehrt hat. Periphere Situationen, schnell vergängliche Momentaufnahmen werden auch in der Malerei zu geachteten Inhalten. Es ist bemerkenswert, dass die Fotografie wie ein Skizzenblock zur Bildfindung genutzt wird. Die junge Kunst profitiert überdies sehr gekonnt von den abstrakten und autonomen Farb- und Formstudien der Nachkriegsmoderne – Ordnungen und Erfahrungen, mit denen sie nun entspannt und mit weniger Akribie, aber treffsicher umzugehen versteht.

Das querformatige Bild „Schuhe #2“ (2013) ist nicht auf den ersten Blick einzuordnen, aber sich dann doch entschlüsselnd, ebenso ein Motiv des Straßenraums, wie es den Künstler Hartmann in Dar es Salaam inspirierte - nicht unähnlich zu finden auch bei Straßenverkäufern in unseren Breitengraden und besonders in Berlin, wo der Maler seit 2004 lebt. Entgegen statischer Schaufensterpräsentationen hat hier ein lebendiger Klang die Fläche rhythmisiert, es entwickeln sich Beziehungsmuster zwischen rechtem und linkem Schuh, einander zugewandt, sich abwendend, kippelig, aus der Bahn genommen, vielgestaltig, spannungsvoll, sexy und lebendig. Ist das Bild auch menschenleer, so ist es doch gefüllt und belebt. „Alle Dinge sind dazu da, dass sie uns Bilder werden in irgendeinem Sinn“, heißt es in einem Brief Rainer Maria Rilkes an Frieda von Bülow im Jahr 1899. Das heißt nichts anderes, als dass die Dinge, die um einen geschehen, als Repräsentanten für ein Anderes gesehen werden können. In ihrer Fähigkeit Bilder zu werden, verbergen diese Motive die Möglichkeit für die Sicht auf eine andere Wahrheit. Und der Künstler ist das Medium, diese Perspektive oder Wahrnehmbarkeit zu eröffnen.

Wenden wir uns älteren Fassungen aus den 1990er Jahren zu.

In dem Gemälde „Ostsee“ von 1997 zeigt sich eine triste Szenerie mit einem mehrfach eingefriedeten Kleingarten am Rande eines Restloches. Trotz der starken Farbigkeit in den Grundfarben Rot, Gelb, Blau und dem wie Zucker überfangenden Schneegestöber mag sich keine Stimmung einstellen, die über die Frostigkeit hinweghilft. Diese Szenerie – das soll hier nicht unerwähnt bleiben - hat im Übrigen, wie viele andere Bildthemen auch, ihren Ursprung in der Umgebung des Ausstellungsortes. Die Sparte hatte Hartmann seinerzeit in der Nähe des Dessauer Kornhauses entdeckt.

Häufig begegnen wir in der Bildwelt dieser Jahre dem Phänomen des Beiläufigen, auch des Rätselhaften, des Sich-nicht-Entschlüsselnden. In der kleinbürgerlichen Welt von Klaus Hartmann stoßen wir auf Ungereimtheiten. Es finden sich dort aufgebaute Spielzeuglandschaften, verlorene Häuser, Räder, Acherbahnen, Requisiten von Jahrmärkten, entleerte Landschaftsszenerien, Eisenbahnen, vor allem aber bruchstückhafte Bahngleise, Zäune und Gestänge für Riesenräder, also insgesamt Strukturen, die mit Sinnentleerung behaftet sind. Eine Serie dekliniert die künstliche Welt auch anhand der in unsere westliche Zivilisation verpflanzten China-Restaurants, mit all ihren Requisiten von Lampions, künstlichem Inventar und „Lieferservices“.

Mit Blick auf die hier in Dessau befindlichen Fassungen des „Großen Rades“ von 1998 darf ich noch einmal auf Rilke zurückkommen, auf das Gedicht „Das Karussell – Jardin du Luxembourg“ (1906): „Mit einem Dach und einem Schatten dreht / sich eine kleine Weile der Bestand / von bunten Pferden, alle aus dem Land, / das lange zögert, / eh es untergeht. / …..“ Das Sinnbild dieser Welt um 1900 ist bunt, prall und lebendig, es hat ein Zentrum, um das es sich dreht. In Hartmanns Ansichten erspüren wir hingegen die Ziellosigkeit einer Gesellschaft im Widerspruch.

Klaus Hartmann hat zwei Serien entwickelt, „Monty Python“ und „Ammerland“, in denen, unterstrichen durch die fließenden Farbspiele am Himmel und am Boden, die unnatürlich gefärbten Büsche in vielschichtigen Bewegungsbahnen durchs Bild zu ziehen scheinen. Die naturhaften Requisiten changieren zwischen Szenerien des englischen Slapstick und Baumschulformationen. Dennoch haben die Motive etwas Gefälliges, es fällt schwer sich zu entscheiden, ob man sich in einer barocken gärtnerischen Anlage mit einer Vielzahl „erzogener“ Buschwerke befindet oder in einem Vergnügungspark mit künstlich erstellten Baummustern. Es kommt aber auch auf eines heraus, eine artifiziell erstellte Natur umgibt uns allemal. Und im Endeffekt ist dies die Landschaftsrealität, bei der wir – hinsichtlich unseres Freizeitverhaltens - mit den Vergnügungsparks schon lange angekommen sind.

Eine gewisse Zäsur ist im Jahr 2009, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, in der Bildwelt Hartmanns zu verzeichnen. Mit der Reihe der Monopoly-Bilder, wie dem in Dessau ausgestellten „Wattwagen #1“ und der „Monopoly-Brücke“ reagiert der Künstler auf das aktuelle Finanzmarkt-Geschehen. Die Unwägsamkeiten des Geldstromes waren schon einmal zu Beginn des Jahrtausends in den „Lotto Lotto“-Bildern thematisiert worden.

Und damit komme ich zu der Gruppe der Bilder aus dem am Indischen Ozean gelegenen Tansania. Seit 1992 reist Hartmann in dieses Land, ein ethnisch sehr buntes Land mit einer Vielzahl von Sprachen und widerstreitenden Glaubensrichtungen. Und um gleich zu einer Arbeit zu kommen, die den Einflu2ss dieser Buntheit auf Hartmann belegt, verweise ich auf einen der Musikstile, den Taarab, einer um 1900 entstandenen Kombination aus arabischen, indischen und afrikanischen Elementen. Seine wichtigste Vertreterin war Bi Kikude und einer ihrer Songs hieß wie das gleichnamige Gemälde „Jua Toka“ (2013) (übersetzt: „Sonne komm heraus“).

Der Vogel „Zansibar“ (2011) schlägt vielleicht den Bogen zu den früheren Motiven der Chinarestaurants – auch in diesem Kontext existierte ein Bild mit Vogel, kombiniert allerdings mit einer Lichterkette, wie man sie in Kleingärten findet. In der jüngeren Darstellung entstammt das Motiv des Vogels dem Palast des Sultans von Sansibar. Hartmann reflektiert also auch hierin die arabischen Einflüsse der Insel.

Es sind vor allem die stilleren Gefilde, die Hartmanns künstlerische Phantasie und seinen Enthusiasmus beflügeln: der arabisch geprägte Küstenort Kilwa Kivinje (in dem die baulichen Zeugnisse der Kolonialzeit Deutsch-Ostafrikas (1885/91-1918) einen Dornröschenschlaf schlafen), und Ukalawa, ein Dorf im südlichen Hochland Tansanias.

In der Malerei stechen bewusst gewählte Kontrastierungen ins Auge, von Fülle und Leere, von Licht und Schatten - Bilder, die Menschen unter indischen Mandelbäumen zeigen, den Schattenbäumen dieser tropischen Region. Der Maler lotet Schattenpartien aus, spielt mit dem Dunkel im Dunkel. Es herrscht, wenn man so will, eine Stille, ein Stillstand im Bild, selbst dann, wenn eine Ziege ins Zentrum läuft oder Menschen sich zu Ansammlungen vereinigen. Die Dörfer oder auch nur einzelne Gruppierungen von Häusern sind völlig eingelassen in die Natur. Die Silhouetten der Gehölze und Grünzonen sind – vielleicht durch die fließenden Zweige der Kasuarien-Bäume angeregt – an ihren Rändern aufgelöst, sie werden transparent, versinken, zerrieseln.

Die Bilder von einem fernen Kontinent haben eine neue Akzentuierung, eine weichere Modulation, in der Aussage wie im Tonfall. Für diese Darstellungen gilt nicht weniger als in früheren Jahren, dass Sie keine Abbilder der Wirklichkeit sind. In allen Fassungen setzen sie sich gegen einen solchen Verdacht mit speziellen malerischen Extravaganzen zur Wehr: grelle Farben, wie sie die Natur gar nicht zu bieten hat, auffällige geometrische Versatzstücke, ein Changieren der Farben oder Flecken im Hintergrund, die allesamt eine vermeintliche Ganzheit oder Idylle nachhaltig stören.

Ich denke aber, dass an diesem Punkt bei Klaus Hartmann der Weg eines Wandels zu erspüren ist. Er beschäftigt sich in seinem Medium ja nun auch nicht länger mit einer „entäußerten“ Kultur, wie sie in der westlichen Zivilisation zuweilen anzutreffen ist, sondern schöpft aus unverstellter Quelle. Die Vielgestaltigkeit der Kulturen und Identitäten Tansanias bildet einen hohen Grad an Authentizität in diesen landschaftlich noch unverfälschten Gebieten. Es scheint, dass Hartmann Anschauung und Erleben einer fremden und daher anders respektierten Gesellschaft sowie die archaische Landschaft zur Transposition der künstlerischen Gestaltung animiert. Die Darstellungen reifen zu einer vorher nicht gekannten Ganzheit. Diese andere fremde Welt, erstanden aus unterschiedlichsten Kräften, erlaubt es ihm nicht sie zu kommentieren.

„Alle Dinge sind dazu da, dass sie uns Bilder werden in irgendeinem Sinn.“ Das bedeutet auch, dass Bilder Vorstellungen von etwas anderem sind und diese Vorstellungen transportieren. Und so helfen uns gemalte Bilder, uns Eindrücke von der Welt zu vermitteln, die unsere Begrifflichkeit erweitern.

Zurzeit unternimmt Klaus Hartmann einen kleinen Ausflug in die Welt der Gestaltung. Eine Gruppe von Babykrokodilen hat ihn zu Zeichnungen angeregt, aus denen er teppichähnliche großformatige Bilder entwickelt. Es scheint mir eine Besonderheit, dass man durch diese Krokodilmusterschau in die Orangerie-Ausstellung inmitten des Dessauer Gartenreiches mit seiner Vielzahl von Gestaltungen, Moden und Zeugnissen aus aller Herren Länder eingeführt wird.

PERDITA VON KRAFT

Der Text ist erschienen im Katalog zur Einzelausstellung „Der Vogel und da große Rad“ von Klaus Hartmann im Anhaltischen Kunstverein, Dessau, 2014
© Perdita von Kraft, Klaus Hartmann

Perdita von Kraft war Direktorin der Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus und Gründungsdirektorin des Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus