Fritz Kramer - Im Gegenlicht

Klaus Hartmanns »Tanzania Paintings«


Klaus Hartmann ist als Maler mit Bildern bekannt geworden, die den erschwinglichen Freizeitvergnügen der Deutschen gewidmet sind. Seit den frühen, noch in seiner Studienzeit entstandenen Arbeiten, die die Feierabendgestaltung im Sachsen-Anhalt der Nachwendezeit so liebevoll wie ironisch thematisieren – ein treffender Titel wäre »Blühende Landschaften« –, hat er vorzugsweise Kleingärten, Jahrmärkte oder Vergnügungsparks mit Riesenrädern, Zirkuswagen von Pferden gezogen, Schaubuden und exotisierende Chinarestaurants ins Bild gesetzt. Alle Gegenstände scheinen akribisch gezeichnet zu sein, in Farben gemalt, so bunt, wie schlichte Gemüter sie lieben, oft aber über das Maß des Naiven hinaus grell, irreal, giftig, verletzend selbst für wenig sensible Augen. Dabei verrät Hartmann den Geschmack der kleinen Leute nie an die Arroganz kultivierter Ästheten. Man spürt allerdings, dass er nicht zu dieser Welt gehört. Denn er betrachtet sie von außen, als etwas Fremdartiges. Aber anstatt sich über den Hang zum Kitsch lustig zu machen, sympathisiert er mit solch unbeholfenen oder auch nur preiswerten Versuchen, sich das Leben schöner zu machen. Er scheint volkstümliche Vorlieben sogar zu teilen, möglicherweise in Erinnerung an seine Kindheit, in der er wie wir alle von der Sehnsucht nach buntem Tand erfüllt war. Allerdings trauert er ihr nicht ungebrochen nach. Die gemalten Szenerien sind menschenleer; von keinem genutzt, stehen die Karussells wie Überbleibsel einer Katastrophe herum, sinnlos in sich selbst kreisend. Die Hoffnung auf etwas Schöneres, auf ein kleines Glück, der diese Orte ihre Existenz verdanken, ist enttäuscht worden. Über ihnen liegt eine eisige Kälte, die den Betrachter der Bilder frösteln macht.

Mit den »Tanzania Paintings« ist Hartmann auch in Afrika seinem Faible für populäre Lebensformen treu geblieben. Europäer verbinden mit Afrika sonst ja teils die wilde, unberührte Natur, etwa das Großwild, dem sie auf Fotosafaris in der Savanne nachstellen, oder, am Indischen Ozean, endlose Strände mit Mangroven und wispernden Palmen oder Scuba Diving in Korallengärten, teils Bilder von Hungernden, das Elend von Slums und Flüchtlingscamps oder die Spuren und Opfer von Krieg und Gewalt. Hartmann, der als Lehrer am Bagamoyo College of Arts unterrichtet hat und Ostafrika schon deswegen näher und anders kennt als Touristen und Entwicklungshelfer, nahm sich dagegen zwei ganz unspektakuläre Orte vor: Kilwa Kivinje am Indischen Ozean, einst ein wichtiger Hafen im Handel zwischen der Swahili-Küste, Indien und der Arabischen Halbinsel, heute so abgelegen, dass sich selbst Rucksacktouristen nur selten dorthin verirren, und Ukalawa im Hochland, hierzulande allenfalls bekannt durch die Partnerschaft seiner ev.-luth. Kirchengemeinde mit der Paulusgemeinde Halle, zu der auch Hartmann in seiner Jugend gehörte, ohne die es ihn wohl kaum dorthin verschlagen hätte.

Die Serie »Ukalawa« besteht überwiegend aus Landschaftsbildern. Auf einigen verrät die Staffage – nach modernen Standards auffallend kleine, mit Stroh oder Wellblech gedeckte Häuser –  auf anderen Vegetationselemente wie Bananenstauden, dass wir uns in einer unbestimmten, jedenfalls außereuropäischen Gegend befinden. Aber da ist nichts, was wir für gewöhnlich mit »Afrika« assoziieren, weder die traditionellen Rundhütten noch die charakteristischen Schirmakazien und Baobabs der Savanne. Morphologisch gesehen ist die Landschaft vielmehr ein weites, grünes Hügelland mit rechteckigen Feldern und vereinzelten Büschen und Bäumen. Es ist keine fremde, exotische Welt; man hat eher den Eindruck, dass Hartmann sich in Ukalawa zu seinem eigenen Erstaunen ein wenig wie zu Hause gefühlt hat. Denn seine Bilder zeigen schlicht rustikale Landschaften, wie es sie in vielen Teilen Europas gibt und nicht zuletzt gerade in Mitteldeutschland. Man glaubt sogar, Spuren oder wenigstens einen Nachhall jener Verschönerungsversuche zu entdecken, denen Hartmann sich in den »Blühenden Landschaften« gewidmet hatte: Lange, horizontale Rechtecke in starken Farben, Rosa oder Blau, die merkwürdig unmotiviert und rätselhaft im Vordergrund auftauchen. Es könnten vitenge sein, von Frauen ähnlich wie Sarongs getragen und jetzt irgendwo zum Trocknen aufgehängt. Auch mögen sie Hartmann unwillkürlich an Transparente erinnert haben, wie sie in seiner Jugend in der DDR überall im öffentlichen Raum präsent waren. Bei so viel Vertrautheit drängt sich der Verdacht auf, dass der Maler seine inneren Bilder schlicht in die afrikanische Landschaft hineinprojiziert haben könnte. Doch dann werden einem die gravierenden Unterschiede zwischen den Serien »Blühende Landschaften« und »Ukalawa« erst recht bewusst. In der »Ukalawa«-Serie changieren die Farben nämlich (»Ukalawa 7« ausgenommen) nicht ins Grelle, Irreale, Giftige, und über diesen Orten liegt keine eisige Kälte, die den Betrachter frösteln lässt. Es kann sein, dass Hartmann sich in einer fremden Kultur der Ironie und Distanz enthalten wollte, die er sich in Deutschland ohne Bedenken zugesteht. Ich glaube jedoch eher, dass sich in Ähnlichkeiten, die er unwillkürlich wahrnahm, das Unähnliche, die Andersheit umso deutlicher abzeichnete: der Windstrich, die befremdliche Abweichung von vertrauten Gewohnheiten wie von der heimischen Flora. Die Landschaft mag morphologisch an zu Hause erinnern, aber unter der senkrecht einfallenden Sonne wird sie nach allen Seiten von einem helleren Licht überflutet, dem Ursprung tieferer Schatten. Es ist das Hauptmotiv der »Tanzania Paintings«, für Europäer ein vollkommen unbekanntes Licht, das eigentlich Fremde und Andere.

In »Ukalawa« sind die tiefen Schatten an den unteren Bildrand geschoben und doch wirksam genug, um das grelle Licht spürbar zu machen. In der »Kilwa Kivinje«-Serie dominiert dasselbe Motiv, nur ist es mit anderen malerischen Mitteln umgesetzt. So das zweigeteilte, Titel gebende Bild »Jua Toka«. Die obere Hälfte zeigt eine einmastige Dhau mit charakteristischem Trapezsegel als schwarze Silhouette auf dem Meer – offenbar die Fischer von Kilwa Kivinje –, die untere Hälfte eine Katze als ebenso schwarze Silhouette auf monochrom gelben Grund. Die Swahiliwörter jua toka bedeuten »Sonnenaufgang«, am Indischen Ozean ein unwirklich schönes Farbenspiel, das Hartmann in der oberen Hälfte wohlweislich nur durch ein zartes Rosa andeutet. Dabei wird es rasch so hell, dass alle Gegenstände, in diesem Fall die Dhau und die Katze, im Gegenlicht zu schwarzen Schatten werden. Und in Nr. 2 und 3 von »Kilwa Kivinje« zeichnen sich die Dhaus noch härter gegen den hellen Himmel ab – wie die Menschengruppen im Schatten eines Baums in »Source of Shades« oder »Kilwa Kivinje 1«, ebenso die Badenden in »Ohne Titel«.

Als Student von Werner Büttner hat Klaus Hartmann sich nie auf die professionelle Ausstellungskunst verspäteter Avantgardisten eingelassen. In der Malweise ist er seinen eigenen Weg gegangen, aber einen absoluten Bruch zwischen Bild und Welt gibt es bei ihm so wenig wie bei seinem Lehrer. Statt sich in Selbstbesonderungsgesten zu gefallen, hat er mit seinen Bilder etwas mitzuteilen, etwas, was, mit Büttner zu sprechen, »das Auge überrascht, das Herz bewegt und den Verstand beschäftigt« – in Hartmanns Fall malerische Reflexionen, sei’s missratener Verschönerungsversuche, sei’s der Quelle des Schattens an Orten wie Kilwa Kivinje oder Ukalawa. Dabei weiß er die Möglichkeiten der Abstraktion sehr wohl diskret zu nutzen. So sind die langen, horizontalen Rechtecke in der »Ukalawa«-Serie einerseits als vitenge oder politische Transparente zu lesen, andererseits aber als anikonische, abstrakte Farbsetzungen, zumal sie im Gegensatz zu vitenge nicht gemustert und im Gegensatz zu Transparenten nicht beschriftet sind. Und eine noch weitergehende Verselbstständigung von Form und Farbe leistet er sich in der Serie »Babykrokodile«, in der er wenige Varianten eines Motivs spielerisch in einer Vielzahl von Konstellationen wiederholt, ohne sich jedoch völlig von der ursprünglichen Anschauung – dem Blick in das Aufzuchtbecken einer Krokodilfarm – zu lösen.

Vollends in seinem Element scheint mir Hartmann aber mit den beiden »Schuhe« genannten Bildern zu sein. Denn hier ziehen die grellen, irrealen Farben und die bunten Glühbirnenketten der »Blühenden Landschaften« in die »Tanzania Paintings« ein, lesbar als Musterschau wie als abstraktes Bild. Und doch besteht kein Zweifel daran, dass es sich um die so liebevollen wie nachlässig arrangierten Versuche eines afrikanischen Schuhverkäufers handelt, seine Ware kunstvoll zur Schau zu stellen.

FRITZ W.KRAMER

Text aus dem Katalog "Jua Toka and The Source of Shades - The Tanzania Paintings", Textem Verlag, 2015 © Fritz W.Kramer, Klaus Hartmann, Textem Verlag

Fritz W.Kramer, geboren 1941, war von 1979-1983 Professor für Ethnologie an der Freien Universität Berlin und von 1989-2007 Professor für kunstbezogene Theorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, Feldforschungen u.a. in den Nubabergen im Sudan, in Kenia und im Kunstbetrieb